Historische Röhren
Röhren sind heutzutage eine ‚leuchtende Versuchung‘ für viele analog orientierte Musikfans. Sei es, dass für sie die Musik über Röhrenverstärker ein wenig besser klingt oder dass sie das warme Glimmern und Glänzen fasziniert.
Richtig gute, auf reiner Röhrentechnologie basierende Verstärker, sind jedoch ein Produkt langer, intensiver Beschäftigung mit der Materie. Und die Materie der Röhren ist aufgrund ihrer langen Geschichte und vielen Weiterentwicklungen eine komplexe Welt.
Im folgenden Beitrag fokussieren wir uns als Musikhörer auf die Historie der Röhren, die heutzutage für die Audiowiedergabe sinnvoll nutzbar sind. Dabei stellen wir die Röhrentypen, die in Endstufen von Verstärkern eingebaut werden, in den Mittelpunkt.
Röhren in den 30ern
In der Zeit um 1930 sind Radios bereits weit verbreitet, die Kinozeit ist in vollem Gange und die Welt braucht neue Röhren. Die Kinosäle werden größer, erfordern mehr Beschallung und damit mehr Leistung.
Triode RE604 von Telefunken
Eine der bekanntesten Röhren dieser Zeit ist die direkt geheizte Triode RE604 von Telefunken (1928). Mit einer Heizung von 4V/0,65A und etwa 250V Anodenspannung erzeugt sie im Eintakt-Betrieb eine Sprechleistung (heutzutage würde man Ausgangsleistung sagen) von 1,7W. In den damaligen Kinosälen arbeitete man mit riesigen Hornlautsprecher[1]. Damit erreichte man trotz der für uns heutzutage geringen Leistungen, den erforderlichen hohen Pegel.
Triode AD1 von Telefunken
Um mehr Leistung zu erreichen, begann die Entwicklung stärkere Röhren, üblicherweise direkt geheizte Trioden. Von der RE604 geht die Ahnenreihe weiter zur AD1 (1935). Mit einer Heizung von 4V/0,9A erlaubt sie Sprechleistung im Eintakt-Betrieb von bis zu 4,2W, ebenfalls bei 250V an der Anode. Im Gegentaktbetrieb sind sogar bis zu 9,2W möglich.
Die AD1 Röhre ist eine der begehrtesten deutschen Vorkriegstrioden und eignet sich auch heutzutage aufgrund ihrer Charakteristik ausgesprochen gut für hochwertige Eintakt-Verstärker. Doch die Verfügbarkeit und der Preis machen Sie eher für Sammler attraktiv oder für den Bau von Einzelstücken in absoluter High-End-Audio Qualität.
Röhren EbIII, 6A3 und 2A3
Als Vergleichstypen für die AD1 gelten: Die EbIII, die 6A3 oder auch die 2A3 (1933). Dies sind auch die Röhrentypen, die wir bei der Entwicklung unseres A&L Phono-Linie-Kopfhörer-Verstärker verwenden. Sowohl in der Endstufe des Kopfhörerverstärkers als auch im Line Out. Eine recht konservative, auf eine lange Lebensdauer konzeptionierte Lösung mit etwa 1W Ausgangsleistung.
300B von Western Electric
Die nächste Stufe in der Entwicklung zielte auf mehr Heizleistung, höhere Anodenspannung und mehr mögliche Anodenverlustleistung. Es kam die 300B (Vorläufer 300A) von Western Electric. Im Vergleich zur 2A3 mit anderer Heizung von 5V/1,2A und höherer möglicher Anodenspannung von 450V. Damit sind im Eintakt-Betrieb etwa 8W möglich.
Wenn man wirklich alles aus der 300B rausholen möchte und sie an ihrer maximalen Verlustleistung betreibt, sind ein paar wenige Watt mehr erreichbar. Im Datenblatt von Western Electric ist dies jedoch nicht mehr „Recommended“, sondern gilt als „Maximum“ Operating Conditions. Wobei die Maximum-Option früher häufiger genutzt wurden, als die Röhren noch leicht verfügbar waren.
Röhren 845, 211 und VT4C
Die nächste Steigerung sind Röhren von Typ 845, 211 oder VT4C. Ebenfalls direkt geheizt, jedoch mit einer Heizung von 10V/3.25V ausgestattet. Mit Anodenspannungen im Bereich von 1000V lassen sich dann auch Eintakt-Leistungen von etwa 25W erzielen.
Sie wurden jedoch bald von effizienteren Röhren abgelöst.
Indirekt geheizte Röhren
Nach der Zeit der direkt geheizten Röhren kam die Zeit der indirekt geheizten Röhren. Bei diesem Typ ist die Heizung nicht mehr gleichzeitig die Katode, sondern unabhängig davon. Dies hat zwei entscheidende Vorteile:
- Der Aufbau eines Verstärkers mit mehreren Röhren vereinfacht sich deutlich
- Gleichzeitig wird die Brummempfindlichkeit heruntergesetzt
Mehrgitterröhren
Die nächste Stufe in der Röhrenentwicklung waren Mehrgitterröhren. Hier gibt es nicht nur ein Steuergitter wie bei der Triode, sondern es gibt ein bis zwei weitere Gitter zwischen Katode und Anode. Namentlich das Bremsgitter und das Schirmgitter.
- Bei der Tetrode gibt es ein zusätzliches Gitter; das Schirmgitter.
- Bei der heutzutage üblichen Pentode sind es zwei; das Schirmgitter und das Bremsgitter.
Ziel dieser Anordnung ist die Kennlinie der Pentode flacher zu gestalten als die der Triode. Hierdurch wird der Einfluss der Änderung der Anodenspannung (durch die Verstärkung) auf den Anodenstrom reduziert. Der Anodenstrom ist nun im Wesentlichen von der Ansteuerung am Steuergitter abhängig, woraus sich letztendlich eine höhere Verstärkung ergibt.
Als zwei sehr bekannte Vertreter dieser Gattung gelten:
- Die 6L6 (1936) als Tetrode, ab und an auch in Audioverstärker zu finden, aufgrund Ihrer Robustheit aber besonders gerne in Gitarrenverstärkern.
- Die EL84 beziehungsweise die leistungsfähigere EL34 (1949). Als Paar eingesetzt sind in Gegentaktschaltung, was die meistverwendete Anordnung der klassischen Pentoden ist, je nach Auslegung 35-70 Watt möglich. Im Parallelbetrieb vervielfacht sich dieser Wert um den gleichen Faktor.
Fazit
Unsere hier vorgestellte Auswahl an historischen Röhren ist nur ein Ausschnitt von mehreren Hunderten oder sogar Tausenden von Röhrentypen. Wie eingangs geschrieben haben wir aus der Position des Musikhörers unsere Auswahl getroffen. Zudem natürlich aus der Position des Entwicklers und Herstellers, für den es Priorität hat, Geräte von Beständigkeit zu schaffen. Sie sollen Gefährten sein, die Generationen begleiten.
Doch der Ausschnitt an Röhrentypen mit ihrer langen Historie und die Dynamik in der Entwicklung legen offen, wie viele Optionen man hat, einen Röhrenverstärker zu konstruieren. Alleine die Wahl der Endröhre ist eine Vielfältige.
[1] Mehr zu Hornlautsprechern siehe Journal Nr. 18, Lautsprecher-Bauformen – ALDERS & LANGE (alders-lange.de)